Gefährdungsbeurteilung von Büroflächen im Kontext „New Work“
Die klassische Büroarbeit unterliegt einem Wandel: New Work steht für flexiblere, vernetzte und teilweise ortsunabhängige Arbeitsformen (z. B. Homeoffice, Desksharing, Coworking). Auch im „New Work“-Umfeld bleibt jedoch die gesetzliche Pflicht bestehen, eine Gefährdungsbeurteilung (GBU) für alle Büro-Arbeitsplätze durchzuführen – unabhängig davon, ob sie klassisch, geteilt oder mobil genutzt werden. Bürokonzepte wie Desksharing, Open Space oder Homeoffice befreien den Arbeitgeber nicht von seiner gesetzlichen Verpflichtung, eine Gefährdungsbeurteilung zu erstellen. Neben „klassischen“ Risiken (Ergonomie, Beleuchtung, Raumklima, Stolperfallen) treten verstärkt psychische Belastungen (Entgrenzung, hoher Kommunikationsdruck) und akustische Stressoren (Open Space) in den Vordergrund. Eine durchdachte GBU, die New-Work-Konzepte berücksichtigt, erhöht Zufriedenheit und Gesundheit der Beschäftigten und steigert gleichzeitig die Produktivität. Sie stellt sicher, dass Innovation und Flexibilität nicht zu Lasten von Arbeitsschutz und Wohlbefinden gehen.
Typische Risiken – von Ergonomie und Lärm bis hin zu psychischer Belastung – können sich bei flexiblen Nutzungskonzepten sogar verstärken. Arbeitgeber sollten daher bei jeder Umgestaltung der Büroflächen alle relevanten Faktoren (Raumklima, Beleuchtung, Sicherheit, Organisation, Stressoren) erfassen und geeignete Schutzmaßnahmen umsetzen. Eine sorgfältige Dokumentation und regelmäßige Aktualisierung sichern Rechtssicherheit und tragen dazu bei, dass „New Work“ nicht nur innovativ, sondern auch sicher und gesund ist.
§ 5 ArbSchG: Arbeitgeber sind verpflichtet, Gefährdungen systematisch zu ermitteln und geeignete Schutzmaßnahmen abzuleiten. Dies gilt uneingeschränkt, ob es sich um ein herkömmliches Einzelbüro oder ein Desksharing- bzw. Coworking-Konzept handelt.
Die Verpflichtung umfasst auch Aspekte der psychischen Belastung bei flexiblen Arbeitsformen (z. B. mangelnde Abgrenzung von Arbeits- und Privatleben, erhöhte Kommunikationsanforderungen).
Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV)
§ 3 ArbStättV (Gefährdungsbeurteilung): Auch bei New Work-Ansätzen, die eine Neugestaltung von Büroflächen beinhalten (z. B. Open Space, Collaboration Zones, Lounge-Bereiche), müssen die grundlegenden Anforderungen (u. a. Beleuchtung, Raumklima, Fluchtwege) berücksichtigt werden.
Der Anhang der ArbStättV formuliert konkrete Mindestanforderungen an Büroflächen, z. B. Raumabmessungen, Lüftung und Beleuchtung, die auch bei flexiblen Layouts einzuhalten sind.
DGUV Vorschriften und Regeln
DGUV Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“: Gefährdungen müssen für alle genutzten Arbeitsplätze ermittelt werden – inklusive kreativ gestalteter Zonen, Besprechungsinseln oder Teambereiche.
Hilfreiche Orientierung bieten DGUV-Informationen (z. B. DGUV Regel 115-401 „Branche Bürobetriebe“) mit branchenspezifischen Empfehlungen zur ergonomischen und sicheren Gestaltung von Büroarbeitsplätzen.
Neue Formen des Arbeitens vs. „klassisches Büro“
Trotz des Modernisierungsschubs im Rahmen von New Work – z. B. Desksharing, hybrides Arbeiten, variable Raumnutzung – ändern sich die Kernpflichten des Arbeitgebers nicht. Er bleibt verantwortlich, dass überall, wo gearbeitet wird, Sicherheit und Gesundheitsschutz gewährleistet sind.
Ergonomie
Auch in flexibel nutzbaren Arbeitsbereichen (z. B. Hot Desks, Team-Hubs) gelten die ergonomischen Grundsätze: Höhenverstellbare Tische, ausreichend justierbare Stühle, richtige Bildschirmhöhe etc.
Beim Desksharing besteht das Risiko, dass Beschäftigte sich weniger intensiv mit ihrem Arbeitsplatz einstellen (Tisch-/Stuhlhöhe). Dies kann zu Fehlhaltungen und Muskel-Skelett-Beschwerden führen.
Raumklima und Beleuchtung
Großzügig gestaltete Open-Space-Büros oder Co-Creation-Bereiche mit viel Glas und freier Sicht erfordern durchdachte Beleuchtungs- und Klimakonzepte.
Blendungen, mangelnde Belüftung (z. B. bei vielen Personen in einem Raum) oder Lärmbelastungen werden durch flexible Nutzung eher verstärkt.
Akustik und Lärm
New-Work-Konzepte setzen oft auf offene, kommunikative Flächen. Dies führt zu erhöhtem Geräuschpegel (Gespräche, Telefonate, spontane Meetings).
Lärm kann Konzentrationsstörungen auslösen und psychischen Stress fördern – entsprechende akustische Trennungen, Raum-in-Raum-Systeme oder Zonierungen werden wichtig.
Stolper- und Rutschgefahren
Flexible Möblierung, kurzzeitige „Collaboration Points“ (Sitzsäcke, Stehtische) oder Kabel (Laptops, mobile Geräte) können Stolperstellen erzeugen, wenn sie unsystematisch verlegt werden.
Eine klare Wegeführung, Kabelmanagement und rutschfeste Bodenbeläge sind unverzichtbar.
Psychische Belastungen
Desksharing kann Unsicherheit fördern (fehlender „persönlicher Arbeitsplatz“, ständige Neu-Orientierung).
Mobiles Arbeiten oder Homeoffice kann zu Entgrenzung von Arbeits- und Freizeit führen, was Stress und psychische Belastung erhöhen kann.
Gruppenarbeit, agile Prozesse, ständige Erreichbarkeit und hoher Kommunikationsbedarf können zu Dauerstress führen, wenn keine klaren Regeln oder Pausenzeiten existieren.
Auch in modernen Büroflächen müssen Flucht- und Rettungswege klar gekennzeichnet sein.
Kreative oder verspielte Innenarchitektur darf nicht die Sicherheitsaspekte (Brandschutz, Rettungswege) überdecken.
Technische Arbeitsmittel und IT-Ausstattung
In vielen New-Work-Szenarien werden mobile Endgeräte genutzt (Notebooks, Tablets). Fehlerhafte Akkus, falsche Adapter oder ungesicherte Steckdosenleisten erhöhen das Risiko von Kurzschlüssen oder Kabelbränden.
Regelmäßige Prüfungen nach DGUV Vorschrift 3 bleiben Pflicht – auch für private Endgeräte, wenn sie dienstlich im Betrieb genutzt werden.
Flexible Raumnutzung
In der GBU muss nicht nur der einzelne Arbeitsplatz beurteilt werden, sondern verschiedene Nutzungsszenarien: Z. B. Sitzecken für spontane Meetings, Steh- und Sitzzonen, Kreativräume mit Whiteboards und Monitoren, Lounge-Bereiche als Pausenzonen.
Wichtig: Zonierung und Nutzungsregeln (wo ist konzentriertes Arbeiten möglich, wo findet laute Kommunikation statt?).
Wechselnde Team-Konstellationen
Agile oder cross-funktionale Teams können häufig den Platz wechseln.
Regelmäßige Kurz-Unterweisungen (z. B. wie man den Schreibtisch/Monitor korrekt einstellt, welche Sicherheits- und Hygienevorschriften gelten) sind ratsam, damit die Beschäftigten sich auch in unbekannten Bereichen sicher und ergonomisch einrichten können.
Homeoffice und mobiles Arbeiten
Der Arbeitgeber ist auch bei mobiler Arbeit in der Pflicht, den Beschäftigten Informationen und Beratungen zu ergonomischer Arbeitsplatzgestaltung zur Verfügung zu stellen (z. B. Leitfäden, Checklisten, E-Learnings).
Eine „klassische“ GBU mit Begehung des Homeoffice ist meist nicht realistisch, aber der Arbeitgeber sollte zumindest Angebote machen (z. B. Unterstützung bei Anschaffung eines Bürostuhls, Monitor, verstellbarem Schreibtisch).
Bei Hybrid-Arbeit (teilweise Büro, teilweise Homeoffice) muss die GBU beide Arbeitsorte einbeziehen – soweit möglich und rechtlich zulässig.
Desksharing und Sharing Economy
Ein bindendes Nutzerkonzept: Welche Bereiche sind für welchen Zweck vorgesehen? Wo stehen ergonomisch verstellbare Tische, wie wird gebucht, wer stellt sicher, dass nichts verstellt bleibt?
Kommunikations- und Rückzugszonen (bzw. Telefonboxen) sollten eingeplant und GBU-seitig bewertet werden (z. B. ausreichende Belüftung, Schallschutz).
Digitaler Stress / Always-on
New Work fördert oft ein erhöhtes Maß an Digitalisierung (Kommunikationstools, Chat-Apps, Videocalls). Ohne klare Regeln kann es zu permanenter Erreichbarkeit und Stress führen.
In der GBU sollte eine Betrachtung psychischer Belastungen durch digitale Arbeitsformen (ständige Unterbrechungen, Multitasking) erfolgen.
Analyse aller relevanten Arbeitsbereiche
Klare Strukturierung: Welche Arbeitszonen gibt es (z. B. Fokusbereiche, Kreativbereiche, Meetingräume)? Wo herrschen besondere Anforderungen (z. B. Ruhe, größere Displays, Fachbibliotheken)?
Ggf. Einbinden von externen Fachleuten (Fachkraft für Arbeitssicherheit, Arbeitsmediziner, Architekten) bei größeren Umgestaltungen.
Einbeziehung der Beschäftigten
Partizipation ist zentral: Insbesondere bei Veränderungen hin zu New Work sollten Beschäftigte von Beginn an mitreden können (z. B. via Workshops, Feedbackrunden).
Das fördert Akzeptanz und liefert wertvolle Informationen über tatsächliche Belastungen (Lärm, Licht, private Anforderungen im Homeoffice).
Ergonomische Schulungen und Checklisten
Gerade bei häufig wechselnden Plätzen (Desksharing) sollten Kurzanleitungen (z. B. Tisch-/Stuhleinstellung, Monitorhöhe) sichtbar ausgehängt oder digital verfügbar sein.
Schulungen zu Zeitmanagement, „Digital Detox“ und Stressprävention helfen, psychischen Belastungen entgegenzuwirken.
Dokumentation
Gemäß § 6 ArbSchG müssen die Ergebnisse der GBU schriftlich oder elektronisch festgehalten werden (Beschreibung der Risiken, Schutzmaßnahmen, Verantwortlichkeiten).
Bei Veränderungen (z. B. erneute Büro-Umbauphase, neue Tools für Teamarbeit) sollte die GBU aktualisiert werde
Regelmäßige Überprüfung
Ein kontinuierlicher Prozess ist essenziell: New Work bedeutet dynamischen Wandel, z. B. andere Teamgrößen, neue Projektbereiche, sich weiterentwickelnde Technologie.
Eine jährliche oder halbjährliche Überprüfung (Begehung, Mitarbeiterbefragungen, Messungen) sorgt dafür, dass Probleme frühzeitig erkannt und behoben werden.